Erste Siedlungen
Schon lange vor Christi Geburt hatten sich mit Sicherheit auch im Bereich unserer Breitengrade Menschen am Niederrhein niedergelassen; denn der Fluss lieferte Wasser fürs Vieh und Fisch als Nahrung. Hierüber geben Funde unterschiedlichster Art Zeugnis. So weisen eine Streitaxt und ein Steinbeil – gefunden in Holthausen – in die jüngere Steinzeit um 2000 v. Chr. Zurück. Grabfunde aus Urnen bestehend - entdeckt in Ork – geben Aufschluss über eine Besiedlung unseres Raumes in der späteren Bronzezeit. Die Germanen hinterließen Spuren aus der Zeit um 800 v. Chr. in der Form von geschliffenen Tongefäßen. (*1) Ein weiterer Beleg der Germanisierung des Niederrheins ist die ehemalige Thingstätte in Götterswickerhamm an der Straße „Unterer Hilding“. (*2)
In dem Thing (Gerichtsverhandlung) wurden bei den Germanen unter Vorsitz des Stammesoberhauptes Gesetzesbrecher verurteilt. Römische Münzen aus der Zeit zwischen 81 und 96 sowie 161 und 180, ausgegraben bei Bauarbeiten an der Hahnenstraße in Spellen und am Bahnkörper Wesel – Spellen – Walsum, geben Aufschluss vom Handel der rechtsrheinischen Bevölkerung mit den Römern. Letztere verloren die Herrschaft am linken Niederrhein seit 259 Zug um Zug an die Franken, die auch später den Rhein überquerten. Um 700 zogen vom Osten her die Sachsen an den Rhein. Die beiden Völker grenzten sich durch Schutzwälle und einfache Burgen ab. (*3)
Götterswickerhamm
Bis zum Jahre 1000 entstanden in unserer Region Höfe und Güter, die meist’ als Lehen bewirtschaftet wurden. Dies belegt ein Tauschvertrag aus dem Jahr 1003, mit dem Güter in Mehrum, Stockum und Götterswickerhamm von Wenzelino, ein Ministeriale von St. Peter in Köln, und seiner Frau Meinburg an den Kölner Erzbischof übergingen, der seinerseits Hof Budberg bei Rheinberg abgab. Die erworbenen Güter schenkte der Erzbischof später der Beniktiner Abtei Deutz, einem Kloster. (*4)
Mit der Urkunde dieses Tauschvertrages wurde das Kirchdorf Götterswickerhamm erstmalig namentlich erwähnt, und zwar hieß es Goterswick. Man vermutet, dass Godert, ein Ritter freiadeligen Geschlechts, sich zum Herrn des Wicks (hier die Bezeichnung für Hof) machte und diesen mit Wall und Graben umgab. Es war das spätere Herrschaftshaus bzw. die Burg der Herren von Götterswick. Zum Namensteil Hamm: Früher bezeichnete man so eine Flusskrümmung. Hier aber gab es auf der Höhe von Möllen – Voerde – Mehr sowie Götterswickerhamm – Löhnen – Mehrum einen alten Rheinarm, der mit der Zeit verlandete. Das Land zwischen Rhein und altem Rheinarm nannte man hier Hamm. Schließlich wurde aus Götterswick und dem Hamm Götterswickerhamm. Aktenkundig wurde das mit einer
Gerichtsvorladung, nach der sich jemand auf dem Gerichtsplatz zu Götterswickerhamm einfinden musste. Leider hielt sich ein Ortspfarrer nicht an die Namensgebung, er wählte für die Eintragungen ins Kirchenbuch den Namen Görsicker. Nach etlichen Differenzen hinsichtlich des Namens unseres Kirchdorfes wurde dieser erst 1934 amtlich. (*5)
Götterswickerhamm und die umliegenden Bauernschaften
Zunehmend an Bedeutung gewann Götterswickerhamm durch den Kirchbau, der wohl im 10. Jahrhundert stattfand; denn er wurde dem römischen Märtyrer Nikomedes aus dieser Zeit geweiht. Eine erste urkundliche Erwähnung der Kirchengemeinden stammt allerdings erst aus dem Jahre 1193. (*6) Gründer der Kirche waren wahrscheinlich die Herren von Götterswick; denn sie übertrugen später das Patronatsrecht an den Klever Grafen. Den Gottesdienst in unserem Kirchdorf feierten die Bewohner aus Mehrum, Rhinum (einst südwestlich von Götterswickerhamm gelegen), Löhnen, Voerde, Stockum, Holthausen, Reeshoven (einst Mehrum vorgelagert) und Eppinghoven. Neben dem Patronatsrecht gehörte zur Herrschaft von Götterswick auch die Gerichtsbarkeit, die wohl schon aus einem ehemaligen Hundertschaftsgericht der Franken hervorging. Den Gerichtsplatz bildete die oben erwähnte Thingstätte an der Straße „Unterer Hilding“. Sie war früher ein Handelsweg, der von Götterswickerhamm über Voerde, Hünxe nach Dorsten verlief. Mit Fähren wurden die Waren über den Rhein gesetzt. Über die Gerichtsbarkeit gibt eine Urkunde aus dem Jahre 1327 Auskunft. Es scheint verständlich, dass die Kirche und der Gerichtsstand in Götterswickerhamm den anderen genannten Rheindörfern gegenüber eine Vormachtstellung verlieh, obwohl letztere über größere Bauernschaften verfügten. (*7)
Kriegszerstörungen
Auch Götterswickerhamm blieb nicht von Zerstörungen verschont. So wurden erstmalig 1427 die Kirche und das Dorf niedergebrannt. Jedoch musste die Gemeinde über einen gewissen Reichtum verfügt haben; denn die Kirche konnte in kurzer Zeit großzügig wieder aufgebaut und neben dem Pastor konnten sogar Vikare und Kapläne eingestellt werden. Dieses Glück währte nur kurz, da schon 1584 im Spanisch-Niederländischen Krieg die Kirche erneut zerstört wurde. Hierbei brach man auch die Kirchen- und Schöffenkiste auf, entnahm alle Dokumente, zerriss sie z. T. und verstreute sie auf der Dorfstraße. Der damalige Küster konnte zum Glück einige Papiere wieder aufsammeln, so dass wichtige Urkunden erhalten blieben. Kurz nach erneutem Aufbau der Kirche durchzogen niederländische Soldaten unsere Region und richteten ähnliches Unheil an. Nun fehlten die nötigen Mittel zur Instandsetzung der Kirche, und die Gottesdienste mussten ca. 40 Jahre unter freiem Himmel stattfinden. (*8)
Um sich nicht weiter den Gefahren durch kalvinistische (reformierte) Niederländer auszusetzen, änderten 1586 die Schöffen des Gerichtes von Götterswickerhamm ihr Siegel. Sie brachen das Brustbid des heiligen Nikomedes heraus und ersetzten es durch den klevischen Lilienhaspel. (*9)
Die Reformation
Wie so soft ging es in den Kriegen und ihren schwerwiegenden Folgen um Erbstreitigkeiten und Konflikte weltlicher Herrschaft. Weiterer Anlass für Auseinandersetzungen war die Religion, nachdem Luther 1517 seine 95 Thesen zum Ablasshandel veröffentlicht hatte. Die Religionszugehörigkeit des Volkes bestimmten die Landesherren. So auch in unserem Kirchspiel. Der Edelherr Georg von Syberg auf Haus Voerde gehörte zum Kreis um Luther und war der neuen Christenbewegung so aufgeschlossen, dass er sich in seinem Haus einen eigenen evangelischen Pfarrer hielt. Ein Nachfolger dieses Edelherren setzte als Oberkirchmeister 1590 (*10) neben dem katholischen Pfarrer einen lutherischen Prediger und später (1594) den lutherischen geistlichen Konrad Glintzing ein, der wegen seines Glaubens mehrfach vertrieben worden und aus Urach in Württtemberg über Biberach, Reilingen, Mannheim und Essen gekommen war. So predigten zwei Pfarrer unterschiedlicher Kirchenordnung in einer Kirche. (*11) Aber Pfarrer Glintzing hatte während seiner Dienstzeit einen schweren Stand. Er wohnte bei Hermann Haspe, dem Wortführer einer kleinen papstgetreuen Gruppe, der ihn schlug und sogar nach dem Leben trachtete. Trotz aller Widrigkeiten wurde Glintzing fast 88 Jahre alt und starb 1624. (*12)
– Die Existenz eines katholischen und evangelischen Geistlichen in unserer Kirche kann auch als Politikum gesehen werden. Konnte man doch je nach Durchzug niederländischer oder spanischer Soldaten entsprechend ihrer Konfession einen Pfarrer vorweisen. - Um seine Nachfolge wurde in unserem Kirchspiel heftig gestritten. Es wollte nämlich der katholische Priester Jodocus Rost die frei gewordene Stelle besetzen. Hinsichtlich dieser Möglichkeit muss man wissen, dass sich der gesamte Niederrhein im Spanisch-Niederländischen Krieg ( 1568 – 1648 ) bzw. im Dreißigjährigen Krieg ( 1618 – 1648 ) befand, die durch häufig wechselnde Regenten in den Regionen meist’ wechselnde Konfessionszugehörigkeiten zur Folge hatten. Über den Werdegang des J. Rost und wie er sich mit List und Intrigen die damalige Situation für sich zu nutzen suchte, berichtet der spätere Pfarrer Lenßen in seiner Chronik. Danach war er „ein Pfaff, ziemlich langer Statur, eines roten Barts, weiße leinene Stümpfe, und ein bis an die Knie reichenden Rock tragend, ein von Saarn und Walsum resp. seines üblen Verhaltens und ärgerlichen Lebens halber vertriebener, entsetzter, privirter Pfaff, Jobst Rost genannt.“ Dieser Priester ließ keine Möglichkeit der Sünde aus: So nahm er sich trotz seines Gelübdes, ein keusches Leben zu führen, eine Frau ins Haus, mit der er Kinder zeugte. Er stritt mit Bauern und Nachbarn und wurde handgreiflich dabei, prozessierte vor Gericht und machte unredliche Geldgeschäfte. Obwohl sich die evangelische Gemeinde heftig seinen Bemühungen widersetzte, die Pfarrstelle in Götterswickerhamm zu erhalten, bekam er mit Hilfe falscher Aussagen von der Düsseldorfer Kanzlei am 19.5.1624 die gewünschte Aufgabe. Auf Grund des Widerstandes seitens der Gemeinde in vielfältiger Form und insbesondere durch die Unterstützung des Freiherrn Johann von der Heyden wurde endlich am 1.4.1625 Melchior Kruse offiziell Nachfolger von Pastor Glintzing. Bis zu diesem Tage nahm er, soweit es die Streitereien zuließen, die Aufgaben der evangelisch-lutherischen Kirche in Götterswickerhamm wahr. (*13) Nach und nach trat die Gemeinde gänzlich zum evangelischen Glauben über und hielt trotz weiterer Anfechtungen der katholischen Kirche und verschiedener evangelischer Glaubensrichtungen am Luthertum fest.
Die reformierte evangelische Kirche in Voerde
Im Jahre 1686 begann die Spaltung der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Götterswickerhamm, zu der auch die Bauernschaft Voerde gehörte. Zu der Zeit heiratete nämlich ein Urenkel des ehemaligen Oberkirchmeisters aus dem Hause Syberg die reformierte Genoveva Maria, geborene von Steenhuis. Sie und ihre Nachfolgerinnen orientierten sich an der Lehre des Heidelberger Katechismus und verlangten dies auch von ihren Bediensteten. Es war charakteristisch für die neue Glaubensrichtung, dass man auf alles unnütze Beiwerk wie Schmuck, Kerzen, Bilder usw. in der Kirche verzichtete und als Lieder nur vertonte Psalmen sang.
Die ersten Gottesdienste wurden 1691 in ihrem Haus Voerde gehalten. Da die reformierte Glaubensgemeinde wuchs und die Räumlichkeiten im Haus Voerde zu eng wurden, baute man 1704 an der Grünstraße, wo heute die Voerder Kirche steht, zunächst eine Kapelle mit Totenkeller und Pastorenwohnung. Nachdem das Gebäude 1854 abgebrannt war, entstand dort fünf Jahre später die heutige Kirche. (*14)
Die Edelherren von Syberg waren nicht nur im Besitz der weltlichen Macht in der hiesigen Region, sondern sie waren zugleich geistliches Oberhaupt unseres Kirchspiels. Das hätte für die Voerder Kirchengemeinde und darüber hinaus eine Rückkehr zum katholischen Glauben bedeuten können; denn nach dem Aussterben der männlichen Erbfolge der Sybergs und dem Konkurs des Hauses (1770), kaufte 1840 der katholische Graf Eduard zu Salm-Hoogstraeten das Haus Voerde von einem Nachfolgebesitzer. Damit war er auch gleichzeitig der Patron der evangelisch-reformierten Gemeinde der Voerder Kirche. Das Patronatsrecht wurde ihm jedoch schon im Jahre 1856 von vorgesetzter Herrschaft aberkannt. Allerdings ging sein Einfluss dahin, dass ca. 7% der evangelischen Gemeinde den katholischen Glauben annahmen. Hierzu gehörten insbesondere die Pächter der Lehnsgüter des „Haus Voerde“ und ihr Gefolge. (*15)
Das Schulwesen in Götterswickerhamm
Wie vieles andere lässt sich auch der Beginn des Schulunterrichts nicht genau bestimmen. Aus gewissen Notizen der Bürger ist anzunehmen, dass bereits um die Mitte des 17. Jahrhunderts Unterricht in der Kirchengemeinde stattfand. Einen Beleg gibt es erst in der Form einer Rechnung, mit der von der Gemeinde Schulbänke für das Vikarienhaus in Götterswickerhamm bezahlt wurden. Als der letzte unterrichtende Vikar gestorben war, baute man in der Südostecke des damaligen Friedhofs eine einräumige Schulstube, in der vom Presbyterium und Pfarrer ausgesuchte Personen Unterricht erteilten. Bei der Auswahl der Lehrer war bisweilen nicht das schulische Können gefragt, sondern die Qualität des Singens, weil es zu seiner Aufgabe ebenfalls gehörte, den Gesang im Gottesdienst zu leiten und zu fördern. Die Lehrer waren meist’ auch Küster und hatten somit vielfältige kirchliche Aufgaben zu erledigen. Außer dem Schulgeld der Kinder erhielten sie Naturalien seitens der Bauern, deren Umfang von der Größe des Hofes abhing. Oftmals kam es zu Klagen, da die Leistungen der Bauern ausblieben. (*16) Hier sei erwähnt, dass es zu dieser Zeit schon ebenfalls Schulen in Löhnen, Mehrum und Voerde gab. Letztere lag an der heutigen Steinstraße und wurde Buttenhammer Schule genannt, da sie außerhalb des Hamms gegeben war.
Auf Veranlassung des Pastors G. Schulze wurde mit Genehmigung der Regierung 1870 eine Präparandenanstalt gegründet, in der junge Männer in zwei Jahren zu Hilfslehrern ausgebildet wurden oder aber die Befähigung zur Aufnahme in einem Lehrerseminar erwerben konnten. Nachdem der Unterrichtsraum im Pastorat zu klein geworden war, wurde an der Straße „Oberer Hilding“ ein Gebäude gekauft und für die Bedürfnisse der Anstalt umgebaut. - Das Aussehen des Hauses fällt heute noch in Götterswickerhamm aus dem Rahmen. –
Während des Schuljahres 1879/80 besuchten ungefähr 88 Schüler die Einrichtung, die unter anderem aus dem Raum Dortmund, Jülich, Düsseldorf und Kleve kamen. Sie lebten bei Bewohnern im Kirchdorf und den angrenzenden Rheindörfern. 1877 wurde der Gründer der Ausbildungsstätte zum Direktor des Lehrerseminars nach Rheydt berufen und fünf Jahre später wurde die Institution in Götterswickerhamm diesem angeschlossen. Danach benutzte die Diakonie Duisburg das Haus als Erziehungsheim für Waisenknaben, und bevor es 1907 an Privatleute verkauft wurde, diente es noch gewisse Zeit als Lungenheilanstalt für Männer. (*17)
Der Rhein als Unheilsbringer
War der Rhein für viele seiner Anwohner lebenswichtig, bedeutete er doch andererseits immer wieder Gefahr. So wurden die Bauernschaften Rhinum und Reeshoven trotz Uferbefestigungen seitens der Anwohner vom Rhein fortgespült. – Auf der klevischen Katasterkarte von 1733 sind sie noch eingezeichnet. (*18)
Besonders erwähnenswert sind die Überschwemmungen von: 1682 und 1693: Ins Pastorat von Götterswickerhamm wurde Sand eingespült und die Lehmwände wurden beschädigt. 1784: Die Friedhofsmauern wurden von Eisschollen zerstört. Im klevischen Raum kamen 5.700 Stück Vieh um und 148 Häuser wurden fortgerissen. 1855: Es gab große und gefährliche Überschwemmungen, verbunden mit Treiben von Eisschollen und deren Auftürmen. Wegen des Eises konnten die einzelnen Gehöfte nicht mit Nachen zur Versorgung mit Lebensmitteln erreicht werden. 1870, 1890, 1928/29 konnte man den zugefrorenen Rhein zu Fuß überqueren.
Zur Sicherung gegen das Hochwasser des Rheins gab es schon 1369 einen Deichverband. Jeder Anlieger war für den ordnungsgemäßen Zustand des Rheinufers zuständig, Vernachlässigungen wurden bestraft. Dreimal im Jahr kontrollierten der Deichgräf und andere sachkundige Bürger Deiche, Kribben und andere Schutzeinrichtungen und veranlassten eventuell Reparaturen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass man im 18. Jahrhundert zwei Pfarrer zum Deichgäf wählte. (*19)
Letztlich sei noch angemerkt, dass früher die Gehöfte und Häuser zum Schutz gegen das Hochwasser in den Rheindörfern auf Warften gebaut wurden, was sich heute noch bei genauem Hinsehen feststellen lässt. Zu Jedem Haus gehörte auch ein Nachen, mit dem man sich bei Hochwasser zum Nachbarn oder Einkauf fortbewegen konnte.
Der Kirchenbau
Nach ungefähr 200 Jahren fand der Gottesdienst in Götterswickerhamm wieder unter freiem Himmel statt; denn die Kirche war baufällig geworden und musste 1820 geschlossen werden, weil das Dachgebälk ins Kirchenschiff gestürzt war. Daraufhin bot die Voerder Gemeinde an, ihre Kirche mit zu benutzen. Doch vielen Bürgern war der Weg zu weit, und vielleicht gab es auch Dünkel gegenüber der reformierten Gemeinde. Schließlich wollte man ein 60 Fuß langes, 40 Fuß breites und 10 Fuß hohes Zelt erstellen. Hiermit waren die Gastwirte im Orte einverstanden, somit mussten sie doch nicht auf den Ausschank nach dem Kirchgang der Dorfbewohner und den damit verbundenen sonntäglichen Einnahmen verzichten. Aber man verwirklichte den Zeltbau nicht.
Wegen des weiten Verwaltungsweges zur Oberbaudeputation nach Berlin und der Änderungswünsche des Architekten Karl Friedrich Schinkel wurde der Kirchenbau erst 1829 genehmigt. Weitere Probleme bereiteten die Kosten, die auf 5.723 Taler geschätzt wurden. Schließlich begann man 1831 mit dem Bau. Da jedoch im Dezember desselben Jahres die Teilzahlungen an die Unternehmer ausblieben, stellte man die Arbeiten ein, bis die Forderungen erfüllt waren. Endlich war der Bau am 10.9.1834 fertig, und eine Woche später fand die Einweihungsfeier statt. Da die Schlussrechnung aber wesentlich höher ausfiel als veranschlagt, blieben der Gemeinde Zahlungsprobleme. Zur Lösung trug mit einer Stiftung von 1.000 Talern der König bei. Als der Bauunternehmer wegen der letzten Forderung von 830 Talern klagen wollte, schoss Tendering, Herr auf Haus Ahr und Kirchmeister, den Betrag vor. Dafür erhielt er eine Kirchenbank mit Verschluss zum eigenen Gebrauch. (*20)
Haus Götterswick
Das Haus Götterswick, im Volksmund nur als Burg bezeichnet, mussten seine Gründer schon im 13. Jahrhundert an die Grafen von Kleve abgeben, die sie dafür in wichtige Ämter beriefen. Es wurde klevisches Lehnsgut, auf dem in der Folgezeit Edelherren saßen. (*21)
1806 kaufte Jean Leo de Bruin, der unter französischer Herrschaft erster Bürgermeister der Gemeinde wurde, das Anwesen. In seinem Hause richtete der Bürgermeister ebenfalls die Verwaltung ein. Der neue Eigentümer konnte aber das auf Kredit erworbene Gut nicht halten, und die Gläubiger beantragten beim Landgericht Dinslaken eine öffentliche Versteigerung. Da kein befriedigender Erlös erzielt werden konnte, setzte man den nächsten Versteigerungstermin ein Jahr später an, mit der Absicht, dass sich dann kompetentere Bewerber einstellen würden. Es blieb jedoch Wunschdenken, denn das auf 15.390 Reichstaler taxierte Gut musste an den meistbietenden Kaufmann Wilhelm Kreyfeld aus Duisburg für 7.000 Reichstaler abgegeben werden, der es seinem Schwiegersohn, dem Leutnant Hans von Wahlen-Jürgas übergab. Der neue Herr des Hauses Götterswick verstarb früh, und seine Erben konnten das Gut nicht halten. So erwarb letztendlich die Kirchengemeinde Götterswickerhamm das Anwesen (1853) und machte es zum Pastorat, was es bis zum heutigen Tag geblieben ist. (*22)
De Bruin durfte noch bis 1810 auf Haus Götterswick wohnen, zog dann in die Lindenwirtskate nach Voerde um, wo er auch die Verwaltung unterbrache. Das Gebäude bildete später nach Umbauarbeiten das Rathaus. 1823 gab de Bruin sein Amt in der Mairie (Bürgermeisterei) auf, um Bürgermeister in Dinslaken zu werden. (*23)
Vereinigung der beiden Kirchengemeinden
Seit Anfang des 18. Jahrhunderts gab es im Kirchspiel Götterswickerhamm zwei evangelische Gemeinden, nämlich die evangelisch-lutherische am Rhein und die evangelisch-reformierte in Voerde. Die Bemühungen beide Gemeinden zu vereinen gehen auf das Jahr 1817 zurück. Nach dem Wiener Kongress (1815) suchte König Friedrich Wilhelm III., die Machtverhältnisse und Verwaltungen in seinem Staate neu zu ordnen. Mit diesem Bestreben rief er auch die Lutheraner und Reformierten zur Vereinigung (Union) auf. Mehr aus praktischen Gründen der Zusammenarbeit als aus Glaubensfragen traten die beiden Kirchengemeinden in Götterswickerhamm und Voerde der Union bei, und mit dem 31. Oktober 1817 gab man in den Kirchenbüchern die Bezeichnung evangelisch lutherisch auf. Die Lutheraner nahmen 1837 die Union an, die Reformierten dagegen traten erst im Juli 1843 der Union bei, nannten sich aber selbstständige Gemeinde in der Union mit reformiertem Bekenntnis. Später widersprach der damalige sehr aktive Kirchmeister Diedrich Dehnen, der aus Meiderich zugezogen und Anhänger des reformierten Pietismus war, dem Zusammenschluss der beiden Gemeinden. 1866 und 1875 lehnten auch die Götterswickerhammer die Aufnahme der ärmeren und kleineren Gemeinde in Voerde ab. (*24)
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gingen die unterschiedlichen religiösen Auffassungen in der Union mehr und mehr zurück und für die Gemeindemitglieder wurde die Frage nach der Kirchengemeinde Götterswickerhamm oder Voerde oft mit der Länge des Kirchweges beantwortet. Ein weiteres Zusammenrücken der beiden Lager bedingte der Erste Weltkrieg mit seinen tragischen Folgen wie: Kriegsgefangener und –versehrter sowie Entbehrungen jeglicher Art. Weitere Einschnitte in das Gemeindeleben erfolgten durch den Spartakusaufstand mit seinen schweren Kämpfen im März/April 1920, die Besetzung des Ruhrgebietes 1923 sowie die Inflation und Arbeitslosigkeit.
In dieser Zeit der Not hatten schließlich der Pfarrer Sander in Voerde (1909 – 1930) und der Hilfsprediger Walther Petri in Götterswickerhamm (ab 1927 Pfarrer) Verständnis für die Forderung des Konsistoriums in Koblenz, die zwei Gemeinden zu vereinen, und sie machten ihren Einfluss gegenüber den Vereinigungsgegnern geltend. Der Erfolg war, dass unter dem Vorsitz des Konsistorialrates Spieß die beiden zuständigen Presbyterien den Zusammenschluss zum 1.1. 1925 beschlossen. Von diesem Tage an gab es nur noch eine Kirchengemeinde Göttreswickerhamm. Als 1930 Pfarrer Sander, den man inzwischen zum Superintendenten gewählt hatte, gestorben war, entschied sich die Gemeinde für Wolfgang Petri zu seinem Nachfolger. Es war der Bruder des Pfarrers am Rhein. Die beiden Brüder waren hinsichtlich ihres Glaubens gleicher Auffassung und auf Grund ihrer guten Zusammenarbeit konnten viele Gegensätze in den unterschiedlichen Lagern nach und nach weiter abgebaut werden. (*25) Relikte in der ehemals evangelisch-reformierten Kirchengemeinde lassen sich heute aber immer noch finden, speziell in der älteren Generation.
Der Nationalsozialismus
Mit der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 kam es zu negativen Auswirkungen für alle Kirchen Deutschlands. Der antichristliche Nationalsozialismus strebte eine neuheidnisch ausgerichtete Staatskirche an. Und als Hitler sich bei der Kirchenwahl im Juli 1933, mit der neuen Glaubensbewegung der Deutschen Christen identifizierte, brachen zwischen Staat und evangelischer Kirche sowie innerhalb der evangelischen Kirche Konflikte auf.
Der Propagandaapparat des neuen Regimes war gut organisiert und er wusste die Erfolge der NSDAP gut in Szene zu setzen. So konnte das Heer von 6 Millionen Arbeitslosen kräftig reduziert werden, so dass sich in vielen von Armut geprägten Haushalten wieder Hoffnung zeigte. Dies und vielleicht noch andere Argumente veranlasste unser Presbyterium dazu, noch im Jahre Hitlers Machtergreifung geschlossen zu den Deutschen Christen überzutreten.
Um die hitlersche Glaubensrichtung zu charakterisieren, seien nur zwei Wesensmerkmale genannt: Sie lehnten das Alte Testament aus rassistischen Gründen ab und wollten nur Arier als Mitglieder. Hierauf antwortete im selben Jahr Martin Niemöller mit der Gründung des Pfarrernotbundes, aus dem als „Oppositionspartei“ die Bekennende Kirche hervorging. Sie versuchte, soweit es die Möglichkeiten im NS-Staat erlaubten, die Bürger über die Machenschaften des Nazi-Regimes aufzuklären. In der Folgezeit erachtete die NSDAP die Deutschen Christen für die Verwirklichung ihrer Ziele nicht länger als nützlich, was die neue ins Leben gerufene Bewegung allmählich wieder zerfallen ließ. Für unsere Gemeinde hatte das zur Folge, dass schon 1938 die letzten zwei Vertreter der Deutschen Christen in unserem Presbyterium ihr Amt aufgaben. (*26)
Die Nachkriegszeit
Der Zweite Weltkrieg hinterließ auch in Voerde und somit in unserer Kirchengemeinde seine Spuren. So musste die Bevölkerung viele Entbehrungen auf sich nehmen, viele Söhne und Ehemänner kehrten nach dem Krieg verletzt oder gar nicht wieder zurück. Etliche Vertriebene aus den Ostgebieten fanden hier eine neue Heimat.
In der Nachkriegszeit, genauer nach der Währungsreform, konnte sich Deutschland eines ungeahnten Aufschwungs erfreuen, mit dem sich in dem ehemals ländlichen Raum viele Industrien ansiedelten. Die notwendigen Arbeitskräfte kamen mit ihren Familien zumeist aus
den angrenzenden Großstädten, aber auch als Gastarbeiter aus dem Ausland. Zählte die
Gemeinde Voerde nach dem zweiten Weltkrieg 10.000 Einwohner, so stieg ihre Zahl bis 1985 auf 32.000. Inzwischen war Voerde 1981 Stadt geworden.
Den nötigen Wohnraum schaffte man für die zugezogenen Bürger z. T. in Möllen. Hier baute in der Zeit von 1951 bis 1957 die Bergwerksgesellschaft Walsum AG auf dem Gelände ehemaliger Bauernhöfe die Hans-Heinrich-Thyssen-Siedlung. 1961 errichtete man in dem neuen Wohngebiet schließlich dem Bedarf entsprechend eine evangelische Kirche mit Festsaal und anderen Räumen im Kellergeschoss.
Nicht nur der Süden Voerdes wurde neu besiedelt, sondern in ihrem gesamten Raum ließen sich Neubürger nieder, so dass man das bereits auf dem Rönskenhof entstandene Gemeindehaus zu einem Gotteshaus erweitern musste. Nun war die ehemals kleine Kirchengemeinde, die sich nun aus vier Bezirken zusammensetzte, (*27) von einigen hundert Mitgliedern auf die stattliche Anzahl von 12.440 angewachsen.
Ausblick
Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Gemeindemitglieder stetig ab. Sie beträgt momentan nur noch 8.500. Wir haben Kirchenaustritte zu beklagen: Zum einen herrscht Unzufriedenheit mit unserer Kirche und zum anderen sucht man die Kirchensteuer zu sparen. Der wesentliche Grund für den Rückgang der Mitgliederzahlen liegt aber in der demographischen Entwicklung der Bevölkerung. Die Zahl der Rentner und Pensionäre nimmt ständig zu, während immer weniger Kinder geboren werden, anders ausgedrückt: Es werden mehr Menschen beerdigt als getauft. Die Evangelische Kirche im Rheinland schätzt die Situation so ein, dass unsere Mitgliederzahl bis zum Jahr 2030 um ein Drittel zurückgeht, und somit sich die Steuereinnahmen der Kirche halbieren. Hierbei muss gesehen werden, dass Rentner und Pensionäre kaum Steuern bezahlen.
Das hat auch für die Kirchengemeinde Götterswickerhamm Folgen: Wir müssen in nächster Zeit die Zahl der Predigtstätten und Pfarrer reduzieren. Die Lösung dieser Aufgabe ist schwieriger als die frühere Erweiterung der Gemeinde; denn das bedeutet Verzicht auf bestimmte Pfründe und liebgewordener Gewohnheiten in den einzelnen Bezirken.
Quellen:
1 Prof. Dr. Dr. Stampfuß im Heimatkalender 1957 Kr. Dinslaken, S 26 ff.
2 Ingolf Isselhorst: Die alten Voerder, Selbstverlag, S. 9
3 Christiane Syre: 1000 Jahre Kirchspiel Götterswickerhamm, RHIEM-Druck 2003, S. 13 ff.
4 wie 3, S.
5 Walter Neuse: Geschichte der Gemeinde Götterswickerhamm, Verlag Ph. C. W. Schmidt – Degener & Co. 1971 Neustadt/Aisch, S. 63 ff.
6 wie 5, S. 68
7 wie 5,
8 wie 3, S. 34 f.
9 wie 2, S. 53
10 wie 5, S. 68
11 wie 3, S. 36 f.
12 Heinrich Scharzkamp: Die verschlungenen Wege der Ev. Kirchengemeinde Götterswickerhamm/Voerde in Wort und Bild, S. 21 ff.
13 Friedrich Lenßen: Chronik der evangelischen Kirchengemeinde Götterswickerhamm, S. 49 ff.
14 wie 12, S. 47 f.
15 wie 12, S. 52
16 wie 5, S. 77 ff.
17 wie 5, S. 90 ff.
18 wie 3, S. 46
19 wie 5, S. 190 ff.
20 wie 5, S. 69 ff.
21 wie 5, S. 3
22 wie 5, S. 60 f.
23 wie 5, S. 261
24 Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Götterswickerhamm
25 wie 12, S. 67
26 wie 12 S. 79 f.
27 wie 12, S. 101 ff.
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